Die letzte Blüte des Gutes unter Gustav Vorwerk
Gustav Vorwerk um 1900
| Siegel der Kastorfer Gutsgerechtigkeit zur Zeit von Gustav Vorwerk mit dem Wappen der Familie Vorwerk: ein rotes Haus (Vorwerk eines Hofes) wird rechts und links von zwei Bäumen flankiert, gekrönt von dem Braunschweigischen Pferd. Die Kastorfer Variante des Vorwerkschen Wappens weicht in kleinen Details vom original Wappen (1848) ab. |
Herman Georg Gustav Vorwerk * Hamburg 1852, † Lübeck 1909 Gutsbesitzer Kastorf ab 1878 ∞ unverheiratet Kinder: keine |
Hermann Georg Gustav Vorwerk wurde als 13. Kind des Hamburger Kaufmanns Georg Friedrich Wilhelm Vorwerk und seiner zweiten Ehefrau Christiane de Voss 1852 in Hamburg geboren. Er ist damit das Nestküken. Sein Vater war 1823 Mitbegründer der Firma "Hochgreve und Vorwerk", 1846 deren Alleininhaber, Handelsrichter, dann Kommerz-Deputierter, später herzöglich braunschweigischer Konsul und 1848 Abgeordneter im Frankfurter Vorparlament. Gustavs Vater stirbt 1867 als er erst 15 Jahre alt ist.
Gustav wächst in Hamburg auf. Entweder residiert die Familie im Stadthaus an der Alsterglacis 8, oder im Sommerhaus in Klein Flottbeck an der Elbchaussee.
Im März 1871 reist Gustav mit seiner Mutter und weiteren Anverwandten wie der 12 jährigen Louise nach Berlin. Dem nun 18 jährigen Gustav fällt bei dieser Reise die Rolle zu, über die kleine Louise zu wachen. Für den Einmarsch der Truppen hat Mutter Vorwerk eine Flucht von Fenstern im "Hotel du Nord" gemietet; so kann man herrlich den Einzug des siegreichen Kaisers und seiner Paladine Bismarck, Molcke und Roon miterleben und an dem begeisterten Jubel der riesigen Volksmengen teilnehmen.
Das Herrenhaus in den 1920er Jahren von der Nordseite
1878 kauft Gustav Vorwerk das Gut Kastorf mit Mühle von Carl Stolterfoth für 235.000 Rthl. (705.000 Mark). In dem Buch "Ein Hamburger Ambiente" von G. Adoph Vorwerk wird auf Seite 31 behauptet, dass schon sein Vater Georg Friedrich Kastorf für seinen Sohn gekäuft hätte, doch Georg Friedrich Vorwerk ist ja schon 1867, also 11 Jahre vor dem Kauf verstorben. Wenn dann können es nur Gustavs ältere Brüder, August Friedrich (1837-1921) und Gustav Adolph (1839-1919) gewesen sein, die Gustav nicht im väterlichen Geschäft haben wollten und ihn mit einem Landgut abfinden wollten. Wenn Hamburger damals Güter außerhalb ihrer Landesgrenzen Güter erwarben, so taten sie es nicht, um dort zu Leben oder Landwirtschaft zu betreiben, sondern mehr als Geldanlage oder wegen des angenehmen Sommeraufenthalts, den ihre Familien dort verbringen sollten. Aber einem noch jungen Mann ein Gut zu kaufen, um ihn seinen Lebensunterhalt davon bestreiten zu lassen, kam selten vor, eigentlich bei uns nur mit der üblichen Bemerkung: "zu dumm zum Kaufmann – muß Landwirt werden". Ob das auch bei Gustav zutraf ist sehr zu bezweifeln.
Gustav Vorwerk um 1890
Gustavs Mutter, Christiane Vorwerk geb. de Voss (*1809, † 1885) macht jeden Sommer eine Rundreise auf der sie ihre auf Gütern lebenden Schwiegersöhne (z.B. Lorenz Booth auf Nütschau der mit Laura Caroline verheiratet war) und ihren Sohn Gustav in Kastorf besucht.
In den Augen vieler Kastorfer ist er das, was sie einen Weiberfeind nennen. Zweifelsfrei paßt manches an seinem Benehmen nicht in gutbürgerliche Normen.
Zu den Vertrauten Gustav Vorwerks gehören nur der Gutsinspektor, der Gutsschreiber, ein persönlicher Diener und sein Gärtner. Diese vier haben sämtlich Frau und Kind. Doch der Gutsbesitzer verlangt, dass deren Frauen nicht mit auf dem Gutshof wohnen. Sie werden in den benachbarten Gemeinden untergebracht.
Im Gutshaushalt geht nichts von der Hand, ohne dass eine Mamsell (Wirtschafterin), ein Küchenmädchen und eine Dienerin helfen. Doch mit diesen Frauen spricht Gustav Vorwerk nur, wenn es wirklich unumgänglich erforderlich ist.
Der Lauenburgische Kreistag 1907 zum 25-jährigen Jubiläum: mittlere Reihe 4. v. links mit dem hellgrauen Mantel ist der Kastorfer Gutsbesitzer und Kreistagsabgeordneter Gustav Vorwerk
Fast jeden Morgen, den Gott werden läßt, unternimmt der Gutsherr einen Ritt mit seinem Lieblingspferd, einem Braunen, nach Groß Weeden oder Berkenthin. Menschen, die ihm irgendwo auf der Straße begegnen, übersieht er. Das wissen die Kastorfer und nehmen daher auch keine Notiz von ihm bei solchen Treffen. Angeblich hat Vorwerk nie einem Menschen Guten Morgen oder Guten Tag gewünscht.
Dem Hauptlehrer Otto Bünder berichtet um 1950 die Schülerin Hedwig Koop von einer Begebenheit, die deren Großmutter aus eigenen erleben zum Besten gab: "Eines Tages hatte Gustav Vorwerk seine Felder an der Chaussee nach Sierksrade (Ratzeburger Straße) besichtigt. Es fing plötzlich an zu regnen. Er erreichte noch das Koopsche Haus und stellte sich draußen unter den Dachvorsprung. Urgroßmutter Koop bemerkte dies und bat Herrn Vorwerk, er möge doch während des Regens zu ihr ins Haus kommen aber er tat es nicht."
Als Erntedankfest gefeiert wird, wollen die Gutsarbeiter ihren Herrn mit Musik abholen. Doch er ist schon vorausgegangen in den Keller, wo gefeiert werden soll. Zu Beginn der Erntefeier hört er sich einige Gedichte an, die aufgesagt werden; dann geht er. An Festen und am Umgang mit Menschen findet er, der Wortkarge und Menschenscheue, keinen Gefallen.
In Gustav Vorwerks Gutsherrnzeit fällt um die Jahrhundertwende der Bau der zumeist einspurigen Eisenbahnlinie von Oldesloe nach Ratzeburg. Unentgeldlich stellt der Gutsherr Land zur Verfügung – doch, so erzählt man sich, soll er die Bedingung daran geknüpft haben, dass der Bahnhof (Kastorf Bahnhof) am Dorfrand und nicht nahe seinem Gut errichtet wird. Eine Stelle bei der Schule in der Mitte des Dorfes lehnt er ab. Dadurch kommt es, dass das kleine Bahnhofsgebäude auf Kastorfer Gebiet, der zugehörige Abort aber einige Meter entfernt in der Gemeinde Siebenbäumen errichtet werden. Die Bahnhofswirtschaft (Dohrendorf) bei der sogenannten Grenzeiche liegt in Siebenbäumen, das Altenteil dazu auf Kastorfer Gebiet.
Gustav Vorwerk war baulich äußerst aktiv. Neben den drei großen Gutsscheunen (erneuert 1898 und 1907), baute er die Gutsarbeiterhäuser an der Ratzeburger Straße und an der Hauptstraße, den großen Kälberstall, den Pferdestall und Remise (ehemalige Sporthalle), die Fachwerkscheune von 1880 (s.u.) und entfernte die alte Scheune direkt vis-a-vis vom Pächterhaus. 1903 läßt er auch das Gutshaus renovieren.
1885 wird das Gut Kastorf vom Dorf getrennt und es ensteht die Gemeinde Kastorf.
Gustav Vorwerk stirbt mit 57 Jahren am 5. Juni 1909 in Lübeck. In seinen Testament ( vom 5./15 Januar 1897 , 26. November 1898) setzt er seinen Neffen Hermann Vorwerk zum Universalerben ein. Im Testament ist aber auch ein Legat von 30.000 Mark für die Siebenbäumer Kirche bestimmt. Mit diesem Geld soll die sogenannte "Gustav-Vorwerk-Stiftung" eingerichtet werden.
Gustav-Vorwerk-Stiftung
Die 30.000 Mark sind vom Kirchenvorstand in mündelsicheren, ausser Kurs gesetzten Staatspapieren zu belegen. Die jährlichen Zinsen daraus sind im ganzen Kirchspiel Siebenbäumen zu verteilen, und zwar möglichst ein drittel für kirchliche Zwecke, ein drittel für Schul-, Unterrichts- und Erziehungszwecke und ein drittel zur Linderung der Armut, des Elends und der Krankheiten. Den Vorstand der Stiftung bilden der jeweilige Kastorfer Gutsbesitzer und fünf Mitglieder des Siebenbäumer Kirchenvorstandes.
So ist z.B. noch eine Verteilungsliste von Weihnachten 1920 vorhanden. Darin sind mehrere bedürftige Kastorfer aufgeführt die jeweils 15 Mark als Geschenk zum Fest erhalten und zwei davon Unterzeichnen noch mit "XXX", sind also Analphabeten.
Das Herrenhaus vom Park aus gesehen
Das Herrenhaus vom Verwalterhaus aus gesehen
Die von Gustav Vorwerk 1880 gebaute Scheune auf dem Alten Hof
Eine der drei großen Hofscheunen mit dem Monogramm von Gustav Vorwerk, erbaut auf den Grundmauern der alten Hammersteinschen Scheune von 1755, heute Wohn und Wirtschaftsgbäude, Lohmeier.
Die 1907 umgebaute alte Scheune von 1754: diese Scheune war im Erdgeschoss massiv aus Ziegeln gebaut und das Dachgeschoß in Fachwerk und mit Strohdach ausgeführt. Vorwerk baute auf dem Erdgeschoß einen neuen Giebel in massiv Ziegel und versah alle Hofgebäude mit Dachpfannen.
Deputathäuser (Tagelöhnerhäuser)
Diese Gebäude dienten den Gutsarbeiterfamilien als Unterkunft. Deputat deshalb, weil man früher die Unterbringung und Versorgung der Gutsarbeiter und deren Familien als "Verpflichtung = Deputat" ansah. Solche Unterkünfte gab es schon zu Zeiten des Besitzers Metzner. Denn dieser hatte 1827 die sogenannten "Baraken" am Müssenkamp anlegen lassen.Die "Baraken" von 1827 am Müssenkamp gelegen auf der Katasterkarte von 1877
Ratzeburger Straße 25: 3 Häuser, rechts vom Müssenkamp gelegen, ebenfalls gebaut von Gustav Vorwerk (s. Initialen im Giebel "G.V.")
Monogramm von Gustav Vorwerk an einem der ehemaligen Gutsarbeiterhäuser an der Ratzeburger Straße
Die Gutsarbeiterhäuser am Müssenkamp 1955
Hauptstr. 95: 1 Haus, gebaut 1880 von Gustav Vorwerk, aus Ziegelsteinen der Bliestorfer Ziegelei, genannt die "Rote Flöte" oder die "Rote Kate"
heute Rexin.
Der letzte Gutsherr Hermann Vorwerk
Hermann Vorwerk um 1900
Hermann Vorwerk * HH-Klein-Flottbeck 1882, † Helgoland 1928 Gutsbesitzer Kastorf ab 1909, Neffe des obigen, V: Gustav Adolph Vorwerk (1839-1919) ∞ Hamburg 7.10.1916 Goverts, Margaretha *1891, † 1977 Kinder: kinderlos |
Im Juli 1909 tritt Gustav Vorwerks Neffe Herman Vorwerk sein Erbe an. Wie aus seinen Papieren hervorgeht ist er noch ledig, und hatte davor in Berlin studiert.
Herman war vorher bei Vorwerk & Co. in Valparaiso, Chile tätig. Sein Erbe ist ihm gegenüber seinen Brüdern und Vettern peinlich, weil er es in so jungen Jahren als eine Bevorzugung ansieht.
Auch Hermann Vorwerk investiert viel ins Gut. So läßt er das Gut weitgehend neu drainagieren und stellt Überlegungen an, eine Ziegelei zu erichten. Diese Bemühungen schlagen anfänglich in der Bilanz des Gutes negativ an, doch im Jahr seines Todes wird das erstemal Gewinn erbracht. Man hat auch schon Telefon auf dem Gut (Nr. 10). Wirtschafterin: 1917 Maria Hebbels
Hermann Vorwerk ist wohl ein Liebhaber der Seefahrt. Schließlich stammt er ja aus einer wohlhabenden Hamburger Kaufmanns- und Reederfamilie und hatte selbst eine Zeit in Chile verbracht. Er läßt im Herrenhauses ein Zimmer in der Art einer Schiffskabine einrichten. Dieses Zimmer ist später das Kinderzimmer der Halskes (Verwalter/späterer Besitzer).
Wenn der Gutsherr Vorwerk mit der Kutsche durch das Dorf fuhr, müssen sich die Kinder verbeugen, und wenn freche Jungs dem Herrn diese Ehre verweigern, dürften sie schon damit rechnen, auch mal mit der Peitsche zur Raison gebracht zu werden.
Heinrich Dreier am Park des Gutshauses um 1925
1928 reist Hermann Vorwerk nach Helgoland und verunglückt dort tödlich (es wird Selbstmord vermutet und im Dorf wird etwas von Freimaurern gemunkelt). Offensichtlich hat Hermann kein Testament hinterlassen und so kommt es zur gesetzlichen Aufteilung des Vermögens wie folgt:
1/2 Wwe. Margaretha Vorwerk (1891-1977)
1/4 Carlota Vorwerk (1851- 1940 seine Mutter)
1/16 Walter Vorwerk (1873-1933 sein Bruder)
1/16 Carl Vorwerk (1875-1949, sein Bruder)
1/16 Elisabeth Witt (1877-1944 seine Schwester)
1/16 Helene Burchard (1880-1973 seine Schwester, Frau des Hamburger Bürgermeisters)
Ein Wunsch der Erben ist es, dass der alte Kutscher Heinrich Fey und Frau, der viele Jahrzehnte in Diensten der Gutsherrschaft stand, weiterhin freie Wohnung in Kastorf hat. Die Oberaufsicht über das Gut übernimmt Rudolf Jansen, Steinhorst, die Verwaltung liegt in Händen von Inspektor H. Winckler.
Im November 1928 wird der Wert des Kastorfer Gutes ermittelt: Wehrbereitschaftswert 1.023.160 RM / Einheitswert 736.000 RM. Die Verkaufsverhandlungen werden von Carl Vorwerk und Max Mooyer übernommen. Doch diese gestalten sich zäher als erwartet und man versucht sich über einen Preis von 500 - 330 RM per Morgen anzunähern. Ende des Jahres wird noch ein Maklervertrag mit dem Landwirt Peter Clausen aus Rendsburg aufgesetzt.
Seine Frau und die weiteren Erben verkaufen schließlich den ganzen Besitz 1929 für 1 Millionen Reichsmark (925.000,- M) an die Höfebank, Kiel.